Beitragsbild, Zeichnung eines Mannes

Der große Guide zum richtigen Schattieren

Schattierungen unterstreichen die Form und lassen sie dreidimensional wirken. Egal ob du Manga zeichnest oder realistisch, dieses clevere Schattieren lässt deine Figur/den Hintergrund und einfach alles glaubhafter wirken. Das ist das, was du willst? Alles klar, dann lass uns starten.

Der Artikel fängt ganz vorne an und wird dann immer komplexer. Wenn du am Anfang stehst, können die Teile in denen ich mehr ins Detail gehe, kompliziert wirken, lass dich davon nicht entmutigen. Du musst nicht alles direkt umsetzen. Probiere die Tipps nacheinander aus, dann wird vieles später klarer. Wenn du Fragen hast, kannst du dich auch gerne bei mir via Instagram, Tiktok oder Mail melden.

1. Wo Licht ist, ist auch Schatten

Licht und Schatten in vereinfachter Darstellung

Die wichtigste Regel: Bestimme deine Lichtquelle, dann liegt die abgewandte Seite im Schatten.

Ich habe das hier mal vereinfacht dargestellt. Unser Licht muss von oben links kommen, da unsere Kugel dort am hellsten ist. Bei komplexeren Formen, ist es manchmal nötig auf verschiedene Flächen zu achten und im Kopf durchzugehen, wo die Lichtquelle sitzt.

Pinseltipp
Nimm dir ein Ei und eine Taschenlampe und beleuchte das Ei von verschiedenen Seiten in einem schlecht beleuchteten Raum. Beobachte dabei, wie sich die Schatten verändern. Wenn du ganz fleißig bist, zeichnest du es dann.

2. Entlang der Form Schattieren

Obwohl wir jetzt die grundsätzliche Regel angewendet haben, sah die Kugel im letzten Bild noch aus wie ein Kreis. Das bekommen wir leicht in den Griff, indem wir der Form folgen. Bei einer Kugel schmiegt sich das Licht um die Form, irgendwann erreicht das Licht aber die hintersten Stellen nicht mehr. Die dickste Stelle der Kugel blockt das Licht und steht sich quasi selbst im Weg. Das ist die Stelle, an der Licht zu Schatten wird.

Du siehst, obwohl ich die Fläche durchgängig und „flach“ schattiert habe, gibt der Bogen alleine die Form der Kugel vor.

Bei eckigen Formen ist das ganze etwas einfacher, da hier die klaren Kanten oft schon die Übergänge vorgeben. Wir werden uns später auch noch mit etwas Eckigem befassen. Zunächst schauen wir uns an, wie wir diesem Schatten noch mehr Tiefe geben.

3. Schatten gruppieren

Jetzt wird es interessant. Lange habe ich, wenn ich Portraits gemalt habe, einfach das kopiert, was ich auf dem Foto zu sehen glaubte. Hier und da habe ich Stellen abgedunkelt, „weil da der Schatten halt stärker war“. Ich habe mir keine Gedanken gemacht, was da wohl dahintersteckt.

Erinnere dich an die Übung mit dem Ei. Da ist dir vielleicht aufgefallen, dass auch auf der Schattenseite Bereiche heller, als andere waren. Das liegt daran, dass Schatten aus verschiedenen Arten bestehen, die in einer Hierarchie zueinander stehen. Jede Fläche, die im Schatten liegt, besitzt alle 4 Gruppen. Wir unterscheiden wie folgt:

1. Der Schlagschatten

Sicher der am einfachsten zu bestimmende Schatten. Wird ein Gegenstand beleuchtet, wirft er einen Schatten auf den Boden oder eine andere Fläche. Der Gegenstand blockiert in dem Bereich dann dem Licht den Weg. Der Schlagschatten ist der dunkelste Schatten.

2. Die Transformations-Linie

Ich nenne es die Transformations- oder Transistionslinie, vom englischen Transformation- bzw. Transitionsline. Im Deutschen habe ich auch schon Begriff „Eigenschatten“ gehört, ich finde die englischen Ausdrücke allerdings sehr passend. Den Bereich bzw. die Linie beschreibt nämlich die Stelle an der Licht zu Schatten umgewandelt wird. Bei gewölbteren Oberflächen – wie unserer Kugel – kann sie weich zu den Seiten auslaufen, bei eckigen Gegenständen, ist sie eine klare Kante sein und oft gar nicht deutlich zu sehen. Die Transformationslinie ist heller als der Schlagschatten, aber dunkler als der Kernschatten und das reflektierende Licht.

3. Der Kernschatten

Der Kernschatten folgt der Transformationslinie und ist der eigentliche Schatten. Er ist heller als die Transformationslinie, aber dunkler als das reflektierende Licht. Bei gewölbten Gegenständen geht der Bereich fließend in die Transformationslinie/den Transformationsbereich über.

4. Reflektierendes Licht

Lass dich nicht von dem Begriff Licht ablenken. Es handelt sich um eine Schattensorte. Wenn du das Gefühl hast, in einem Schatten eine hellere Stelle zu sehen, ist das, das dunkle Licht das z.B. vom Schlagschatten zurückgeworfen wird. Daher ist es der hellste Teil der Schattengruppe.

Sonderfall: Der Deckungsschatten

Dann gibt es noch den Fall, dass ein Objekt sehr nah an einem anderen steht und deshalb durch die Verdeckung ein Schatten entsteht. Das ist dann kein direkter Schlagschatten. Der Fokus in diesem Artikel liegt zunächst erstmal auf den anderen Schatten. Wir betrachten diese dann nochmal gesondert.

6. Beispiel

Schattieren einer Kugel ohne das Wissen um Schattengruppen und mit.

Schauen wir uns das jetzt an einem Beispiel an. Die Kugel auf der linken Seite sieht nach Kugel aus, die Strichführung folgt der Form und je weiter die Lichtquelle entfernt ist, desto dunkler wird die Schattierung. Das ist nicht falsch, aber mehr Tiefe erlangt die Kugel auf der rechten Seite.

Die Transformationslinie ist sichtbar, der Kernschatten schließt sich an und der Rest ist das reflektierende Licht. (Den Schlagschatten hätte ich sogar noch etwas dunkler machen können ;)). Die Kugel hat deutlich mehr Tiefe, als ihre Schwester auf der linken Seite.

In dieser Darstellung sehen wir den Weg von der Lichtquelle bis auf die Oberfläche, auf der unser Gegenstand steht. Die Lichtquelle sendet das Licht auf den Zylinder. Entlang der äußeren Punkte des Zylinders kann es ungehindert weiter strahlen. Der Zylinder blockiert das jedoch das restliche Licht, wodurch der Schlagschatten entsteht. Die schwarze Linie senkrecht ist der Punkt, an dem der Zylinder am dicksten ist und somit die zweite Hälfte im Schatten liegt. Es entsteht die Transformationslinie.

4. Mitteltöne und Lichter

Jetzt, wo wir unsere Schatten im Griff haben, müssen wir uns mit den Mitteltönen beschäftigen. Auf unserer Kugel ist der dunkelste Halbton unmittelbar links von der Transformationslinie. Hier gilt folgende, wichtige Regel:

Der dunkelste Halbton ist heller als der hellste Schatten (reflektierendes Licht)!

Das klingt logisch, kann im Eifer des Gefechts aber schonmal untergehen. Es lohnt sich zu Beginn genau zu überlegen, wo es zu Schattenbildung kommt und wo es einfach nur Mitteltöne sind.

Highlights und Lichter

Das Highlight ist die hellste Stelle in deinem Bild. Die Fläche, die am meisten Licht abbekommt. Selbstverständlich kann es mehrere Highlights im Bild geben. Bei einem Porträt könnte zum Beispiel ein Highlight auf der Nase und auch auf dem Wangenknochen sitzen.

Achtung: Vergleich die vermeintlichen Highlights untereinander. Sind sie wirklich alle gleich hell? Eine Fläche kann heller wirken, als sie ist, wenn sie von dunklen Farben umgeben ist. Das siehst du beispielsweise in diesem Bild. Es ist etwas schlecht fotografiert und keine fertige Arbeit, aber die Helligkeiten stimmen so.

Auch in diesem Bild kommt das Licht von links, daher liegt die rechte Seite im Schatten. Die Fläche auf der rechten Seite könnte gut als Highlight durchgehen, vergleicht man sie aber untereinander, sieht man, dass sie bedeutend dunkler ist. Daher ist auch das Weiß in den Augen nicht so hell wie auf der anderen Seite.

Oftmals spielt uns unsere Wahrnehmung einen Streich, wenn du das aber weißt, kannst du dich selbst gut kontrollieren.

Wenn bestimmte Flächen im Schatten liegen, töne diese Fläche einfach schon leicht am Anfang ab, um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, die Stellen doch zu hell zu lassen.

Um eine glaubhafte Schattierung zu erzeugen, ist es also wichtig, das Verhältnis der Gruppen zueinander, beizubehalten. Die Zeichnung wächst mit der Zeit, und du wirst immer wieder zu Stellen zurückkehren die du schon bearbeitet hast. Wie man so schön sagt: Trust the process.

5. Der Einfluss der Neigung auf die Helligkeit

Du hast bis hierher schon viel gelernt, gehen wir noch ein Stück weiter. Du hast eben erfahren, wie wir der Kugel eine runde Form geben. Machen wir uns jetzt einen Spaß und verwandeln, teilen wir sie in Flächen auf.

Nun kommt das Licht wieder aus der gleichen Richtung.

Was wir schon wissen: Die dunklen Linien sind die Transformationslinie, mit einer klaren Kante, da es sich um einen eckigen Gegenstand handelt. Rechts auf dem Boden, der Schlagschatten. Links unten das Feld ist der Kernschatten. Die zwei abgewandten Felder sind reflektierendes Licht und das Feld, dass auf uns zeigt, ist der dunkelste Mittelton.

Jetzt betrachten wir die Neigung der einzelnen Felder. Je mehr sich die Felder von der Lichtquelle wegneigen, desto dunkler werden sie. Das kannst du ganz einfach mit einem kleinen Blatt Papier selbst beobachten. Halte es vor dich und beleuchte es direkt von oben und neige nun das Papier in verschiedene Richtungen. Beobachte dabei, wie sich die Lichtmenge verändert.

Wir gehen noch einen Schritt weiter:

Die Flächen, die einer Lichtquelle direkt zugewandt sind, empfangen den größten Lichtstrom

Wenn sich die Fläche neigt, nimmt die Fläche aber nicht proportional zum gedrehten Winkel ab. In den ersten 50 Grad Neigung sind die Veränderungen minimal. Ab 50 Grad verdunkeln sich die Flächen rapide. Das bedeutet wir haben in den Schatten eine deutlichere Abstufung, bei den Lichtern müssen wir aber extrem vorsichtig vorgehen, da es hier um minimale Änderungen geht.

Dorian Iten hat das Phänomen und das Lambertsche Gesetz HIER (Englisch)sehr gut erklärt. Die Animation ist auch verständlich, wenn du kein Englisch sprichst. Er ist außerdem ein hervorragender Lehrer und seine Arbeiten solltest du unbedingt mal anschauen.

Klicke HIER, um mehr Details zur physikalischen Erklärung zu erfahren (Englisch).

6. Schattieren in der Anwendung

Asaros Planes of the head Studie von Pinselpower

Wenn du eine Vorlage hast, kann es einfacher sein, sich das Zeichenobjekt in Gedanken in Flächen aufzuteilen und zu überlegen, wie viel Licht sie abbekommen. John Asaro hat beispielsweise die „planes of the head“ entwickelt.

William Nguyen war so nett und hat auf Artstation ( HIER) ein 3D Modell zur Verfügung gestellt. Damit kannst du ganz genau unsere Regeln üben.

Ich empfehle trotzdem zunächst auch die geometrischen Grundformen zu üben, um ein Gefühl für die Regeln zu bekommen. Such dir ein paar Gegenstände und stelle Sie zu einem kleinen Stillleben zusammen. Dieses kannst du dann gut zeichnen.

Auch eine gute Übung ist das Beobachten. Wenn du ein paar Minuten hast, beobachte die Welt um dich rum. Versuche die Schatten zu finden und Reflexionen zu beobachten. Du glaubst nicht, wie viel man dadurch lernen kann. Wenn du das nächste mal eine Referenz vor dir hast, wirst du diese mit anderen Augen sehen.

Wie fängst du deine Zeichnung richtig an?

  • Checke die Proportionen deiner Zeichnung. Nimm dir für diesen Schritt viel Zeit. Wenn deine Zeichnung von den Proportionen her passt, ist das schon die halbe Miete.
  • Beginne mit einem harten Bleistift (1H) und beginne mit leichtem Druck.
  • Zeichne zuerst die Transformationslinie, dann Kern- , Schlagschatten und reflektierendes Licht. Es ist verlockend, aber starte hier nicht zu dunkel.
  • Zeichne nun die dunkelsten Mitteltöne und vergleiche sie immer wieder mit den Schatten.
  • Anschließend kommen die Lichter dran. Denk hier an die geringen Veränderungen.
  • Vergleiche während dieser Phase immer wieder, ob die Abgrenzung noch stimmt und dunkel bei Bedarf nach. Später kannst du dann noch mit einem weicheren Bleistift nachdunkeln und der Zeichnung den letzten Schliff zu geben.

Um die Schattierungen gut zu Papier bringen zu können, ist ein bisschen Feinmotorik nötig. HIER gibt es ein paar Übungen dazu.

Schattieren kannst du außerdem auch hervorragend mit Schraffuren. Klick HIER, um mehr zu erfahren.

Ansonsten experimentiere mit unterschiedlichem Druck und vielen verschiedenen Schichten. Ein gutes Zeichenpapier sollte das ohne Mühe mitmachen, aber auch im günstigen Segment wird man manchmal positiv überrascht. Probiere ein bisschen herum und schau was passiert. Unterschiedliche Oberflächen können einen tollen Effekt erzielen. Einmal verstanden, kannst du das Wissen auf alle anderen Medien übertragen.

Fazit

Schattieren ist ein sehr schwieriges Thema über das ich im letzten Jahr einiges gelernt habe. Vor allem, dass es einen Unterschied zwischen dem theoretischen Wissen und der Umsetzung gibt. Dazu kommt die Technik bzw. die Kontrolle über den Stift. Alles zusammen braucht einige Zeit. Wenn du immer ein wenig drauf achtest, wird sich dein Verständnis für Formen und Schattierungen irgendwann festigen.

Ich habe hier bewusst den einfacheren Standardfall gewählt. Bestimmte Oberflächen wie Metall oder Erde reflektieren das Licht unterschiedlich. Außerdem gibt es immer die Möglichkeit, dass mehrere Lichtquellen zum Einsatz kommen. Das würde hier jetzt den Rahmen sprengen und verdient einen extra Artikel ;).

Ich habe für diesen Bericht versucht meine Gedanken so gut es geht zu vereinfachen. Lass mich gerne wissen, ob das funktioniert hat. Wenn du Anregungen oder Ergänzungen hast, teil mir die auch gerne mit, dann ergänze ich das gerne.

Zum Schluss würde ich mich freuen wenn du mir auf den sozialen Medien unter @Pinselpower folgst.

Viele Grüße und fröhliches Üben!
Denise

1 Kommentar zu „Der große Guide zum richtigen Schattieren“

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